Lange Wege führen zum Ziel

Überschrift – Lemosho-Tour Tag 2, Samstag, 18. Juli

  • Vom Barafu Camp zum GIPFEL (Yeah!) und runter ins Crater Camp (5.730 m)
  • 5 km in 7½ Stunden bis zum Gipfel und dann noch eine halbe Stunde Abstieg
  • Hab tagsüber vergessen die Temperatur zu messen, nachts allerdings -15 °C
  • Anfangs sonnig, dann immer wieder schnell ziehende Wolken

Endlich. Der Tag der Tage. War der bisherige Weg anstrengend, so sollte sich heute zeigen, was wirklich in mir steckt und wie weit meine Leidensbereitschaft geht.
Nach einer sehr guten Nacht mit nur einer Pinkelpause mit Sicht auf den vom Mond beleuchteten Mawenzi ging der Wecker schließlich um 6 Uhr morgens runter. Da wir bereits am Vorabend packten, geht es 90 Minuten später los.

Die ersten Höhenmeter sind vom Vortag bekannt und ich bin froh, die kleine Kletterstrecke über große Felsplatten schnell hinter mir lassen zu können. Wolken ziehen immer wieder schnell an uns vorbei und lassen die Temperaturen blitzschnell um einige Grad fallen.
In einer mir unendlich lang vorkommenden Schlangenlinie gehen wir im Scheckentempo den Berg durch den manchmal knöcheltiefen Schotter hoch. Immer wieder kommen uns Bergsteiger entgegen, die zum Sonnenaufgang auf dem Gipfel standen. Teilweise geht es ihnen sehr gut, einige sind allerdings so geschafft, dass sie weder ihr Gepäck noch sich selbst tragen können. Die Porter sind hier plötzlich Mädchen für alles und einige erzählen von ganzen Gruppen, die es nicht geschafft haben.

Irgendwann, ca. 500 Meter unterhalb des Stella Point bemerke ich, dass ich bereits seit einiger Zeit darüber nachdenke aufzugeben. Mir geht es nicht wirklich schlecht, aber mein Herz rast und ich muss immer öfter eine kurze Pause einlegen. „War es das? Bin ich so weit gekommen wie es eben geht? Darf ich jetzt aufgeben?” Ich spreche mit einem kleinem Männchen in meinen Kopf.

Jamaica bemerkt meine zunehmende Schwäche und weist mich an, dicht hinter ihm zu gehen und auf jeden Schritt bewusst einzuatmen. Langsam geht es weiter und er singt leise, kaum hörbar ein Lied, was einen enorm beruhigenden Einfluss auf mich hat. „Nein, ich gebe nicht auf, dafür bin ich nicht nach Afrika geflogen”, rede ich mir selbst zu. Gleichzeitig setze ich mir kleine Ziele und versuche einen Punkt nach dem anderen zu erreichen: „Noch bis zu der Kurve dort” oder „Bis zu diesem Felsen”.

Ich habe keine Ahnung, wie lang dieser etwas dämmrige Zustand anhielt, aber urplötzlich befinden wir uns am Stella Point! 5.730 Meter! Nur noch schlappe 150 Meter bis zum Gipfel. Ich bin sofort hellwach und freue mich über den grandiosen Ausblick auf das Innere des Kraters mit dem riesigen Stufengletscher in der Ferne. Der Wind schneidet beinahe schmerzhaft in unsere Gesichter, und wir ziehen schnell unsere winddichten Jacken und Mützen an.

Was soll jetzt noch passieren? Während ich beinahe vor Tatendrang platze sind Werner und Monika etwas erschöpfter, aber es dauert nicht mehr lang, bis wir den unspektakulären Gipfel mit seinem bekannten Bretterverschlag erreichen.

Da stehen wir nun, freuen uns wie kleine Kinder zu Weihnachten, sind fröhlich und rennen mit allen Kameras bewaffnet auf dem Schotter rum. Jeder muss jeden in allen möglichen Kombinationen fotografieren. Ein halbes Jahr intensive körperliche Vorbereitung und sechs Tage anstrengender Aufstieg für diesen einen Moment. Auch wenn man sich oft genug dieses dumme Sprichwort „Der Weg ist das Ziel” anhören musste, letztendlich war der Gipfel das Ziel.
Es ist erstaunlich, zu welchen Leistungen man sich überwinden kann, einige Warnsignale des Körpers ignorierend, und ich weiß, dass ich mir dafür Zuhause einige Vorwürfe anhören darf. Doch letztendlich zählt, dass ich es ohne Schäden geschafft habe.

Nach einer halben Stunde Gipfelaufenthalt machen wir uns auf den Weg ins Crater Camp – im Skiabfahrtsstyle geht es flott den Berg runter zu den Zelten, die natürlich bereits stehen, da unsere Träger direkt vom Stella Point aus ins Lager abstiegen.
In den restlichen Stunden vor Sonnenuntergang erkunden wir den Furtwängler-Gletscher, der nur noch aus der Nähe riesig erscheint. Jamaica lässt es sich natürlich nicht nehmen, etwas darauf herumzuklettern und Eis zum Schmelzen abzuschlagen.
Nach Sonnenuntergang wird es sofort eisig kalt, s.d. wir uns nach einem kurzen Abendessen zu dritt ins Zweierzelt zurückziehen. An Schlaf ist in dieser Nacht allerdings kaum zu denken, während draußen der Wind heult und die Eismassen des Gletschers geheimnisvoll knacken ...